Sonntag, 11. Oktober 2020

Ein West-Paket!

 Es gibt Gerüche, die sich Zeit eines Lebens in das Gehirn gebrannt haben, wenngleich man ihnen möglicherweise nie wieder ausgesetzt sein wird. Legendär für jeden DDR-Bürger mit wohltätiger Westverwandschaft ist der Duft eines West-Paketes, gefolgt vom Besuch der eigens für Devisenbringer eingerichteten Intershops im Land der begrenzten Möglichkeiten.

Ich hatte das Glück, auch im Westen des damals geteilten Deutschlands Verwandte zu haben; sogar meine Patentante kam von dort. Später hatte es den Pfarrer unserer Gemeinde ebenfalls nach “Drüben“ verschlagen (als Rentner durfte man das, weil für den Aufbau des Sozialismus nicht mehr wichtig...), so dass ich um ein alljährliches West-Paket zum Geburtstag reicher war. 

Noch heute kann ich mich an die Aufregung im familiären Umfeld erinnern, wenn die Ankunft eines West-Paketes, sei es von Verwandten oder von für die ostdeutschen Landsleute sammelnden Landfrauen aus Niedersachsen, zu erwarten war.  Wann immer es möglich war, begleitete ich meine Mutter zur großen Post im Ort, um freudestrahlend den sorgfältig verschnürten Gruß aus einer anderen Welt nach Hause zu tragen. 

Da stand es nun! Inmitten des komplett beräumten Tisches, alle greifbaren Familienangehörigen drumherum, Mama mit der unangefochtenen Öffnungsgewalt. Und das konnte dauern! Paketband und -papier wurden nicht einfach so vom Karton gerissen, nein, es wurde fein säuberlich abgeknotet und entfaltet, um es später nochmals benutzen zu können... Recycling eben.

Und dann der große Moment! Eine Duftmischung aus Kaffee, Schokolade, Seife, Kaugummipfefferminze und Undefinierbarkeit durchströmte den Raum! Gefolgt vom Anblick der bunten Warenwelt des Klassenfeindes! Eine Offenbarung!


Ich muss zugeben, dass ich stets als Gewinner dieser Warengrüße aus der BRD hervorging. Musste sich mein Bruder weitestgehend mit Süßigkeiten zufrieden geben, gab es für die kleine Christina immer noch ein Spielzeug und später auch coole Klamotten.

Die Waren des täglichen Bedarfs wurden indess bedächtig sortiert, verteilt und eingelagert. Die für uns Kinder so verführerischen Süßigkeiten verschwanden aus unserem Blickfeld und tauchten in penibler Zuteilung ab und zu wieder auf.


Diese meist wohl durchdachten Mischkisten haben uns den Alltag in der zuweilen von Mangel geprägten Zeit in der DDR im wahrsten Sinne des Wortes versüßt, bis wir uns im Jahre 1990, vor nunmehr sage und schreibe 30 Jahren, all die wichtigen und auch unwichtigen Dinge der westlichen Kosumwelt selbst kaufen konnten. Was bleibt, ist die Freude an den kleinen Überraschungen, die Erfüllung kleiner Kinderwünsche und die Erinnerung an eben diesen ganz besonderen Duft.