Samstag, 22. Juni 2019

Fast vergessene Orte

Eine weitere Leidenschaft, die sich seit einiger Zeit in mein Leben geschlichen hat, ist das Interesse an alten Wirkungsstätten der DDR. Orte, an denen gearbeitet und gelebt wurde, an denen Menschen aus welchen Gründen auch immer einen Großteil ihrer Lebenszeit verbrachten und die mir letztendlich aus Kinder- und Jugendzeiten im Gedächtnis geblieben sind. Aber auch Orte, denen ich erst in den letzten Jahren begegnet bin, mich dann aber wegen deren Architektur und Geschichte in ihren Bann gezogen haben.


Hiermit hat es vor knapp zehn Jahren angefangen: Beelitz Heilstätten in der Nähe von Berlin. Bis zur Wende 1990 hatte es der zumeist lungenkranken Bevölkerung seit dem Jahre 1898 als Sanatorium der Gesetzlichen Rentenversicherung gedient, verfiel danach schandvoll zu einer Geisterstadt. Gerade ist man bemüht, zu retten, was noch zu retten ist...




Galt dieses gigantische Areal in einem Walstück anfangs noch als Geheimtipp für “Lost Placer“, habe ich bei meinem dritten Besuch dort doch feststellen müssen, dass der Ort mittlerweile von Touristen überlaufen ist. Sogar einen Baumpfad hat man auf das Gelände gezimmert! 

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Auf der anderen Seite von Berlin habe ich unlängst nach so zirka 35 Jahren den einstigen und damals einzigen Vergnügungspark der DDR besucht: den Plänterwald. Fast jedes Kind der DDR ist hier mindestens einmal gewesen; ich im Rahmen einer Klassenfahrt vor eben all diesen Jahren. Zwar bin ich nie ein großer Anhänger von Rummel, Zirkus und sonstigen Ansammlungen vergnügungsorientieter Menschenmassen gewesen, aber den Plänterwald musste man erlebt haben.


Das hatte ich noch nicht gesehen! Ein riesiges Areal im Grünen mit allem, was wir Kinder aus der letzten Ecke der DDR, hoch oben in Mecklenburg, sonst nicht geboten bekamen. Achterbahn, Riesenrad, und, und, und... Leckereien, von denen wir sonst nur träumen konnten.



Nun ist dort alles verfallen, verharrt im Dornröschenschlaf. Auf dass weitere findige Investoren erneut ihr Scheitern eingestehen müssen...

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Weiter geht es in meine Heimatstadt. Hier verfällt seit fast 29 Jahren die 1886 erbaute Molkerei. In steter Sichtweite von meinem Laubelund begleitet sie mich schon mein ganzes Leben. Ich kenne sie noch im Vollbetrieb, habe den oftmals massiv qualmenden Schornstein vor meinem geistigen Kinderauge, erinnere mich an weißgekleidete Arbeiter, die über das Gelände wuselten, die viel zu großen Milchtanker, die geschickt das viel zu kleine Gelände bezwangen und den typischen Geruch von haltbargemachten Milchprodukten.


Die Molkerei im Jahre 1956. Der Schornstein im Hintergrund wurde 1967 gegen einen neuen und größeren ausgetauscht.


Am 12. August 1990 wurde hier die letzte Milchlieferung verzeichnet, danach erging es der Molkerei wie vielen Betrieben in und nach der Wendezeit: Schließung, Abwicklung, unredliche Investionsversprechen, Verfall...


Enteisungsanlage


Anfang diesen Jahres wurde die Molkerei durch einen neuen Investor von der Stadt übernommen, geplant sind Wohnungen im zu erhaltenden Hauptgebäude. Der markante Schornstein sollte zunächst gesprengt werden, wurde aufgrund einer dubiosen Eingabe dann mit Manneskraft um einige Höhenmeter gekürzt und trotzt jetzt als “Ziegelstummel“ über das Gelände.

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Unlängst ging es nach Zeitz in Sachsen-Anhalt, der einstigen Hochburg der Puppen- und Kinderwagen-Industrie. Zu DDR-Zeiten war hier der Hauptsitz von ZEKIWA (Zeitzer Kinderwagenindustrie), den Grundstein zu Gebäuden und Weltruf legte der Kinderwagenfabrikant E. A. Naether.

 

...ein Trauerspiel...


Im ortsansässigen Kinderwagenmuseum auf dem Schloss Moritzburg findet man eine Auswahl der Produkte, die einst von Zeitz aus in alle Welt rollten und unzähligen Menschen ein - wenn auch für begrenzte Zeit - treuer Begleiter waren.



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Stippvisiten


Wieder einmal in Waltershausen! Seit dem letzten Besuch der einstigen Puppenfabrik Kämmer & Reinhardt, dem späteren VEB biggi, hat sich nichts verändert...


Hier hat Puppe Biggi vor etwa 35 Jahren zum ersten Mal die Klapperäuglein geöffnet.


Der ehemalige VEB Modedruck in Gera...


Zigarettenfabrik Mahalesi in Gera; zu DDR-Zeiten  erst  zum VEB Tabak Nordhausen gehörend, dann zum VEB Kombinat Bekleidungswerke Herdas.



Ehemaliges “Kinder-Kombinat“ Königsheide bei Berlin.


Haus der Statistik in Berlin. Sinnbild eines gigantomanischen Architekturstils der DDR. Ebenfalls seit Jahren leerstehend und auf Wiederbelebung wartend.

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Auf allen Reisen und bei Expeditionen vor Ort dabei: Biggi! Eine Puppe aus dem VEB biggi Waltershausen. Für ihre Einsätze habe ich mir extra einen Rucksack zugelegt, wo sie auf einen Ständer montiert bis zur nächsten Fotosession verharrt. Immer wieder ein Lacher zuschauender Menschen wert, wenn die kleine Puppe in Pose gebracht wird. Zum Glück erkennt mich dabei keiner...

Auf zu neuen Abenteuern! Noch gibt es die alten und geschichtsträchtigen Gebäude. Bestaunen wir sie, solange sie noch von ihrer einstigen Glanzzeit zeugen und “berichten“ können!