Sonntag, 5. Juli 2020

Kleine Architekten

Der Urbedarf allen zivilisierten Lebens: Ein Dach über dem Kopf. Und mit der Errichtung desselben kann man eigentlich nicht früh genug anfangen. Unter dem ersten Dach werden wir die vermutlich schönste Zeit unseres Lebens verbringen: Das von Eltern geschaffene Zuhause, welches mir stets behaglich und glückselig in Erinnerung bleiben wird.


Doch schon hier entwickelte sich der Drang nach Rückzug, Eigenständigkeit und Individualambiente. Als erstes Domizil im Domizil gab ich mich noch mit Unterschlupfmöglichkeiten der vorhandenen Möbelierung zufrieden. Und ja, es gab Zeiten, da passte ich in Gänze unter einen Sessel! Und zwar einem hippen 70er-Jahre-Teil auf verchromten Vierkantbeinen! 


Der Vorteil eines älteren Bruders wurde mir alsbald bewusst, brachte er doch den Aufruf zum “Höhle bauen“ ins Spiel. In der Häuslichkeit musste hierfür der “Mufuti“ (Multifunktionstisch) im Kinderzimmer herhalten. Er war das Gerüst unseres Unterschlupfes, welches mit allen habhaften Kuschel- und sonstigen Decken bestückt und dank Wäscheklammern blickdicht gemacht wurde. Ausgestattet mit jeder Menge Kissen, Naschkram und einer Nachttischlampe konnte man hier mehr oder weniger ungestört lesen, spielen, oder sich gegenseitig zur Weißglut bringen.


Bei Oma auf dem Dorf kamen dann erstmals Bretter und Nägel ins Spiel. Auf dem Hügel eines ehemaligen Backhauses rammten wir vier Weidenstämme in die Erde, welche mit Brettern beplankt ein kleines Häuschen ergaben. Blöd nur, dass die Weidenstämme anwuchsen und Oma ungewollt in den Besitz vier neuer Bäume kam...



Als ich mir im Laufe der Zeit ausreichend Wissen im Fachbereich Buden- und Höhlenbau angeeignet hatte, ließ das erste von mir gezimmerte Gebäude nicht lange auf sich warten. Mit tatkräftiger Unterstützung meiner Freundin Iris. Es sollte meinem Vater eine Beschwerde beim Rat der Stadt und ungewollte Mehrarbeit in Form der unverzüglichen Beseitigung einbringen... 


Zu meinem Elternhaus gehörten seit jeher einige kleine “Ländereien“ , Wiesen und ein Erlenwäldchen, welche eigentlich ungenutzt vor sich hin vegetierten. So beschlossen Iris und ich eines wohl von Langeweile geplagten Tages, auf eben einer dieser Wiesen ein Häuschen nur für uns zu errichten. Mein Planungseifer war geweckt. 



Wir karrten Balken, Bretter, Dachpappe und alles, was ein Häuschen zu selbigem macht mittels Schubkarre und Handwagen an den Ort unserer Wahl. Eine saftig grüne Wiese, durchzogen von einem Wassergraben, im Hintergrund das weitläufige Moor meiner Heimatstadt, im Vordergrund die Hauptverkehrs- und später für einige Zeit Bundesstraße...



Es war uns gelungen, einen wenig ansprechenden Zweckbau zu errichten, in dem wir sehr viel Spaß hatten. Tür und Fenster waren zum Moor ausgerichtet, den Graben davor hatten wir ausgeschachtet und zur Badestelle erklärt (inklusive ungewollter Blutegel-Therapie), Freunde und Mitschüler gaben sich die Klinke in die Hand. 



Dieser von Dachpappe ummantelte, zur Straße hin als großer schwarzer Kubus erscheinende Hort unserer bald endenden Kindheit brachte so einige Mitbürger mit erhöht ästhetischem Befinden in Wallung. Kurzum, es erging eine stadträtliche  Aufforderung zur Entfernung des Objektes an meinen Vater, der wenig amüsiert derselben nachkam.


Iris und ich hatten dann auch irgendwie zeitgleich das Interesse an der Hütte verloren, konnten aufgrund anderer Wichtigkeiten beim Abriss leider nicht behilflich sein. 


Das gleiche Spiel wiederholte sich dann noch ein weiteres Mal auf dem elterlichen Hof, bis auch dieses architektonische Meisterwerk von Papa abgerissen und ein Verbot weiterer Bauaktivitäten erlassen wurde.


Damit konnte ich mich natürlich auf Dauer nicht zufrieden geben. Und: Die Lösung lag so nah! Unsere seit Jahren im Dornröschenschlaf verharrende Gartenlaube!  Sie wurde zum letzten Ort und Treffpunkt unserer unbeschwerten Kindheit, bevor uns das schwere Los der Pubertät ereilte und wir alsbald unserer Wege gingen. Naja, ganz so schlimm wurde es dann auch nicht, wie ich bereits im Februar zu berichten wusste.


Kaum zu glauben, was wir damals so alles auf die Beine gestellt haben, mit welcher Begeisterung es uns stets auf's Neue gelang, die Zeit zwischen Schule, häuslichen Verpflichtungen und all unseren Grappen im Kopf mit unzähligen Projekten zu füllen, dass es einen wehmütig erkennen lässt, wie gedankenlos man in späteren Jahren Lebenszeit vergeudet.