Sonntag, 14. Mai 2017

Rotkäppchen aus dem Fotoatelier

Alle paar Jahre ging meine Mutter mit uns Kindern, meinem großen Bruder und mir, zum Fotografen, um unser Größerwerden im Bilde festzuhalten. Der Fotoapparat zu Hause kam leider eher selten zum Einsatz. 

Das in unserer kleinen Stadt ansässige Fotoatelier (ebenfalls seit der Wende verschwunden) existierte damals schon seit einer kleinen Ewigkeit (gegründet 1899, Hofphotograph Fr. Th., Atelier für elektrisches und Tageslicht...). Ein Besuch dort war immer eine Reise in eine andere Welt: schweres, großes Ladenmobiliar, dunkle Räume mit zum Teil Seidentapeten-bezogenen Wänden und unzähligen Portraits an selbigen, deren Modelle längst alt oder gar verstorben waren. Die Fotografin war eine alte, kinderlose Witwe, deren Markenzeichen ein hängendes Augenlid war... Alles irgendwie unheimlich.



Bilder von 1975. Wie sehr man mich schon damals für Puppen begeistern konnte, zeigt sich hier: Da ich partout nicht lächeln wollte, reichte meine Mutter mir eine Puppe, die als hauseigene Fotobeigabe für kleine Mädchen bereit lag, während die Fotografin mit ihrer alten Kamera “draufhielt“.


Nun war die Welt in Ordnung! Mit Rotkäppchen auf dem Schoß war mir alles weitere Geknipse recht. (Ich will gar nicht wissen, wie ich mich beim Wiederhergeben der Puppe nach der Fotosession angestellt habe...)


42 Jahre später: Selbes “Mädchen“, dieselbe Puppe! Als das Fotoatelier nach der Wende für immer seine Türen schloss, kaufte mein Bruder, ein Sammler alter Dinge, den Großteil des Ladens auf. Irgendwann stand er mit eben diesem Rotkäppchen (eine Puppe aus Sonneberg) vor der Tür und schenkte sie mir! Sie hat einen gesonderten Platz in meinem Nostalgie-Zimmer!